LOGOSKOP — Verbaler Blick auf die Welt
Seit 2021 organisiert Bas die Veranstaltungsreihe #Logoskop im Humboldt Labor. In ihr tragen je zwei Spoken-Word-Künstleute ihre Texte mit Bezug zu den Ausstellungsobjekten vor. So werfen sie einen künstlerischen Blick auf die Wissenschaft. Hier der inoffizielle #LOGOSKOP-Entstehungsmythos — Ein Unsachbericht zur Entstehung dieser literarischen Veranstaltungsreihe:
Im Humboldt Labor der Humboldt-Universität im Humboldt Forum gibt es natürlich auch echte Humboldt-Laborkräfte – ausgestattet mit Pipetten, Bunsenbrennern und Kitteln. Eine solche Laborkraft mit Schutzbrille und Klemmbrett bin ich. Gemeinsam mit dem gesamten Team stecke ich in einem Dilemma. Schließlich soll im Humboldt Labor die Wissenschaft selbst mit den Mitteln der Wissenschaft erforscht und dargestellt werden.
Dadurch aber drohen Befangenheit, selbstreferenzielle Rückkopplungsschleifen oder Eitelkeit. Wie ist eine neutrale Betrachtung der Wissenschaft möglich, ohne dabei in die Fallen der eigenen Betriebsblindheit zu tappen?
Genauso, wie es niemandem möglich ist, das eigene Gesicht mit geschlossenen Augen im Spiegel zu betrachten oder dem eigenen Schnarchen im Schlaf zu lauschen, kann die Wissenschaft sich nicht selbst wissenschaftlich erforschen, ohne die Prinzipien ihrer eigenen Anschauung auszublenden. Die Wissenschaft ist sich selbst gegenüber nicht neutral und ihre blinden Flecken kann sie nicht betrachten, weil es ja ihre blinden Flecken sind, von denen sie natürlich gar nichts weiß. Auch für die Korrektheit meines folgenden Unsachberichts zur Entstehung des #Logoskops kann ich – damals wie heute – nicht garantieren:
Aus der Not heraus fingen wir Laborantu des Humboldt Labors zunächst an, Apparate zu konstruieren, die den eigenen Blick auf die Wissenschaft wie einen Lichtstrahl im Prisma brachen. Die Ergebnisse waren miserabel. Wir begannen das Disziplinen-Hopping, bei dem jeder Wissenschaftler und jede Wissenschaftlerin eine fachfremde Wissenschaft erforschte. Die Sozialwissenschaft erforschte algebraische Ansätze zur Lösung des Nagata-Problems über den Grad einer ebenen Kurve mit vorgegebenen Punkten und Multiplizitäten. Die Mathematik erforschte den Kategorischen Imperativ. Die Ergebnisse waren beschämend.
Am Ende wussten wir keinen Ausweg, als uns der Kunst zuzuwenden. Denn wenn Wissenschaft die Königin ist, dann soll die Kunst ihr Hofnarr sein: Wir setzten einen Menschen auf ein Stück Land. Einen Poeten auf eine Insel, um genau zu sein. Der Poet hieß X. Als Insel wählten wir Hiddensee.
Über den Poeten wissen wir bis heute nicht viel. Lediglich ein paar Verse, die er schrieb, können wir bis heute einsehen. Kreuz und quer irrte X über das Eiland und notierte verworrene Fragmente: „Halme sind Leitern für Käfer, die Erde ist das Zuhause für später.“ Er verstand den Namen der Insel als Imperativ: „Hiddensee – See the hidden!“, echote es in seinem Kopf. Er lauschte dem Läuten der Inselkirchenglocken und notierte: „Kirchenglocken sind Heavy Metal.“ Er legte sich ans Ostseeufer, schaute in den Himmel und dichtete: „Wenn ich auf dem Rücken liege, ist die ganze Welt mein Rucksack.“
X war verwirrt. Nun, da er einmal begonnen hatte, das Versteckte zu sehen, blieb sein Blick für das Sichtbare getrübt. Es wäre eine Kunst, das Sichtbare und das Versteckte gleichzeitig zu sehen, dachte X. Er vergegenwärtigte sich die Datenmengen, Nachrichten und Bilder, die per Funkfrequenz durch
die Luft und durch ihn hindurch schossen, während er den Himmel betrachtete. Die kleine Kumuluswolke dort schräg über dem Stacheldrahtzaunpfahl erinnerte ihn an das Aussehen seines Datencloud-App-Icons.
„Genug Hiddensee!“, sagten wir uns, nahmen den Poeten weg von der Ostsee und versetzten ihn auf eine andere Insel. Auf die Berliner Museumsinsel. Wir setzten den Poeten direkt hinein in unser dort befindliches Humboldt Forum. Im ersten Stock platzierten wir den Poeten zwischen Schaukästen und Videoprojektionen. Kreuz und quer lief X zwischen den Exponaten des Museums herum. Nach der Natur lautete der Titel unserer Ausstellung.
„Zebras aus Holz sind Klaviere! Menschen sind sprechende Tiere!“, rief X. „Regen ist flüssiger Schnee! Ein ‚B‘ ist ein schwangeres ‚P‘!“, rief X. Einige Museumsbesucher drehten sich – teils entrüstet, teils erstaunt – zu ihm um. Als X vor den Porzellannachbildungen historischer Apfelsorten stand, stellte er sich neben die Vitrine und proklamierte für alle Besucher laut hörbar: „Ein Apfel ist eine verformte Birne! Bäume sind pflanzliche Sonnenschirme!“ Dann stellte sich X neben eine Vitrine, die ein Mikroskop ausstellte. „Wissen ist überzeugtes Glauben! Wir sehen mit der Stimme und hören mit den Augen!“ Spontan bildete sich ein Publikum. Die Museumsbesucher applaudierten.
Unsere Belegschaft im Humboldt Labor hatte es geschafft! Genau einen solch versponnenen Blick auf die Wissenschaft hatten wir für unsere Expertise gebraucht! Ein Poet, der das Versteckte sieht oder herbeifabuliert. Oder auch eine Poetin. Ein X welches einen Ariadne-Faden spinnt, der uns durchs Labyrinth der wissenschaftlichen Betrachtungen führt. Das hatte dem Humboldt Labor zur Selbstreflexion gefehlt! Eine neue Disziplin der akademischen Lehre wurde geschaffen: Die wissenschaftliche Betrachtung der wissenschaftlichen Betrachtung mit den unwissenschaftlichen Mitteln der Wortkunst. Hast du Fragen? Dann schau es dir persönlich an:
Jeden Monat rütteln wechselnde Slam-Poetinnen und Slam-Poeten beim lyrischen Rundgang an den Grundfesten der Forschung. Willkommen beim #Logoskop!
Bisherige Gäste beim Logoskop
Timo Brunke
Bas Böttcher
Dalibor Marković
Nora Gomringer
Sebastian 23
Carl Yusuf Rieger
Tanasgol Sabbagh
Lucia Lucia
Noah Klaus
Julian Heun
Etta Streicher
Wolf Hogekamp
Lars Ruppel
Philipp Herold
Josefine Berkholz
Frank Klötgen
Johannes Berger
Valerio Moser
Kaleb Erdmann
Aron Boks
Meral Ziegler
Andy Strauß
Karla Reimert Montasser
Christian Ritter
Eva Matz
Hinnerk Köhn
Dominique Macri
Volker Strübing
Ken Yamamoto
Samuel J. Kramer
Kirsten Fuchs
Aidin Halimi
Felix Römer
David Friedrich
Mona Harry
Friedrich Herrmann
Jacinta Nandi
Lea Weber
Micha Ebeling
Tabea Farnbacher
Jayrôme C. Robinet
Sulaiman Masomi
Bodo Wartke
Vivienne Pabst
Yannick Steinkellner
Nils Straatmann
Volker Surmann
Lisa Pauline Wagner
Jan 'Yaneq' Kage
Marie Radkiewicz
Michael-André Werner
Prince Kamaazengi Marenga
Lea Streisand
Jesko Habert
Almuth Nitsch von Kerry
Tilman Döring
Maroula Blades
Florian Wintels
Lisa Rothhardt
Christoph Steiner